Die Musik dröhnt und das Publikum tobt, als der über zwei Meter große Ex-Wrestler Hulk Hogan auf die Bühne stürmt. Er trägt ein schrilles Outfit mit Plastikblumen um den Hals und schwenkt eine riesige amerikanische Flagge. „USA! USA! USA!“ brüllen die zwanzigtausend Zuschauer.
Doch es gibt keinen Ring, kein Wrestling-Match. Es ist US-Wahlkampf und Hulk Hogan soll die Stimmung vor Trumps Auftritt auf den Höhepunkt bringen. Nach acht Stunden Wartezeit ist das auch bitter nötig. Aber wo hat diese Veranstaltung eigentlich angefangen?
New York, 6th Avenue Ecke 32. Straße am Morgen des 27. Oktober 2024. Die Polizei hat von hier bis zum Eingang des Madison Square Garden alles abgesperrt. Nebenan in der 33. Straße das gleiche Bild: Wartezonen für Trumps Rede am Abend. Ab 10 Uhr stellen sich die Menschen an, um 17 Uhr soll der Ex-Präsident sprechen. Jeder Wartebereich ist etwa 100 mal 20 Meter groß, die Polizei erklärt mir, dass sie mit 15.000 Wartenden in beiden Bereichen rechnet, sobald diese gefüllt sind. Offiziell soll man ab 12 Uhr warten. Wer aber um 12.30 Uhr kommt, hat keine Chance mehr auf Einlass.
Die rund 20.000 Plätze im Madison Square Garden werden mit der wartenden Menge gefüllt. Trotz der schlechten Aussichten auf einen Platz bleibt die Menge ruhig und gelassen. Vor und hinter der Menge sind Scharfschützen auf dem Dach zu sehen: „Polizei und hoffentlich keine Dach-Wähler“, lacht ein Mann neben mir. Schwarzer Humor, um einen möglichen Angriff auf die Menge zu verunglimpfen. Aber auch die Umstehenden empfinden es als lustig. Man redet miteinander, lernt sich kennen, die Stimmung ist ausgelassen. Nach dem Klischee müssten hier aggressive, dicke, alte, weiße Amerikaner mit Waffen und Südstaatenflagge stehen und grölen. Doch die Menge ist gemischt. Männer und Frauen, Alte und Junge. Schwarze sind wenige, ein paar orthodoxe Juden, eine Gruppe einer muslimischen Pro-Trump-Vereinigung.
Die Guten gegen die Bösen
Die Themen sind schon hier homogen: Wir, die Guten, gegen die anderen, die Bösen. Trump steht für Fairness, Wohlstand, Frieden und Fortschritt. Kamala Harris dagegen für Kommunismus und Taliban-Liebe. Dabei suchen die Menschen hier nicht den Streit, sondern das Verbindende: Was wollen wir als Gruppe gemeinsam erreichen? Wie können Gott und Trump uns dabei helfen?
Im Vorfeld gab es eine Liste von Dingen, die wir nicht mitnehmen durften. Einige waren verständlich, andere nicht. So wurde explizit darauf hingewiesen, dass der Secret Service keine Toaster bei der Veranstaltung erlaubt.
In Tranchen von ca. 2.000 Personen werden die Menschen durch die Sicherheitskontrolle gelassen. Nach mehr als zwei Stunden Wartezeit ist unser Block an der Reihe. „Ich glaube, das sind die Letzten“, sagt einer der Polizisten, als wir vorbeigehen. Hinter uns ist der ganze Wartebereich noch voll. Tausende, vielleicht Zehntausende kommen nicht rein. Und das in New York und bei einer Trump-Veranstaltung. Ich hatte weniger erwartet und mir vorgestellt, dass es einfacher wäre, hereinzukommen.
In die Halle kommen
Der Weg in die Halle ist künstlich verengt. Polizei und Secret Service stehen Spalier und blicken auf die Menschenmasse. Dann kommt ein Metalldetektor, alle Taschen werden ausgepackt, alles wird angeschaut und kontrolliert: Funktioniert das Handy? Kann man die Kamera einschalten? Anschließend bekommt man sein Armband. Das zeigt an, in welchem Bereich man sitzen darf.
Es werden so viele Armbänder verteilt, wie es Sitzplätze in den jeweiligen Blöcken gibt. Armband an und los. Überall stehen Ordner, die einen einweisen: „Da hoch! Weiter! Jetzt hier rein!“ Vorbei an Pizza- und Burgerbuden, durch einen Gang auf die Tribüne. Die Erfahrenen wissen, von welchem Block aus man was sieht. Die anderen rennen einfach los. „Die Treppe hoch. Alle in die Reihe. Ganz durch. Setzen oder gehen. Die anderen warten!“ Schnell füllen sich die Reihen. Man setzt sich, wo man gerade steht. Dann sehe ich: Der Saal ist wirklich voll. Das war’s. Und das vor 15 Uhr – noch zwei Stunden, bis Trump auftritt. Oder?
Gemischtes Publikum
Ich schaue mich um: Neben mir junge Männer Anfang zwanzig, vor mir drei junge Juden, hinter mir ein ziemlich lautes Pärchen, das immer wieder Joe Biden und Kamala Harris beschimpft. Auf der Bühne haben die Reden schon begonnen: Mal Leute, die ich kenne, mal nicht, jeweils etwa fünf Minuten: Senatoren, Politiker aus New York, Künstler und hochrangige Wirtschaftsvertreter. Die Stimmung auf den Sitzen und in den Gängen mit den Essensständen ist ausgelassen. Die Chancen, dass Trump gewinnt, stehen laut US-Wettanbietern bei 66 Prozent.
Auch die Menschen, mit denen ich spreche, entsprechen nicht dem beliebten Klischee des Neonazis oder Diktaturliebhabers. Aus ihrer Sicht ist das Gegenteil der Fall: Sie wollen in Freiheit leben, selbst entscheiden, was sie tun. Von den Demokraten erwarten sie Verbote, hohe Steuern, Vetternwirtschaft und massenhafte illegale Einwanderung. Trump sei gegen all das. Sie sagen mir, sie wollen den Rechtsstaat zurück. Wer kriminell ist, soll verurteilt werden. Wer nicht ins Land darf, muss draußen bleiben. Wer gegen die USA ist, wie einige Demonstranten in den letzten Wochen, soll das Land verlassen.
Trump soll auch die Kriege beenden. Sie sind über den Krieg in der Ukraine im Bilde und machen sich über die deutschen Positionen lustig. „Ihr habt auch immer was. Als Trump Präsident war, hat er doch vor Putin und dem Iran gewarnt. Wir haben eurer Wirtschaft gesagt, ‚wenn ihr mit Terroristen zusammenarbeitet, werden wir euch sanktionieren‘. Damals habt ihr uns gesagt, wir sollen uns aus euren Angelegenheiten heraushalten. Jetzt heißt es aber auf einmal, wir sollen uns aus der Scheiße, die ihr euch selbst eingebrockt habt, nicht heraushalten. Und wenn wir uns doch heraushalten, dann ist das ein Zeichen dafür, dass Trump für Putin ist. Ihr seid echt Deppen“. – Inhaltlich wird es hier schwierig. Die Fakten stimmen so weit. Nur fällt es vielen Deutschen schwer, anzuerkennen, dass die Trump-Administration damals inhaltlich richtig lag.
Was meinen Trumps Fans?
Und was ist mit der Ukraine? Eine junge Frau erklärt mir: „Das ist doch euer Hinterhof. Warum löst ihr nicht einmal ein Problem bei euch? Ihr wolltet uns keine Überflugrechte geben, als wir Saddam getötet haben. Aber ihr habt viele seiner Anhänger bei euch aufgenommen. Selbst schuld. Und zur Ukraine: Trump wird Selenskyj und Putin an einen Tisch holen und ihnen erklären, dass jetzt Frieden ist. Wer nicht mitspielt, wird vernichtet. So einfach ist das bei uns.“
Wie der Frieden genau aussehen soll, bleibt unklar. Man traut Trump aber zu, dass er das Problem „bis zum Frühstück“ gelöst haben wird, wenn er erst einmal im Amt ist.
Ich erkläre, dass der Fokus in Deutschland ein anderer ist, wenn man über Trump spricht. Seine rassistischen Äußerungen, die Strafverfahren, der Angriff auf das Capitol. „Das Establishment will ihn zerstören. Zuerst bei den Wahlen, dann finanziell, durch ihre Richter und dann wollten sie ihn erschießen. Aber Gott hat ihn beschützt. Weil er das Richtige tut.“
Dass Trump verurteilt wurde, ist hier nicht einmal ein Kritikpunkt, sondern ein Meme. Einige T-Shirts erklären sinngemäß: „Würde ich einen Verbrecher wählen? ABER SICHER!“. Und damit ist das Thema erledigt. Zu seinen Ausbrüchen: „Na ja, er sagt mal dies, mal das. Der sagt doch das, was wir alle am Ende denken. Oder willst du arabische Terroristen in deinem Land haben? Oder im Kommunismus leben? Das will doch keiner.“ Die Erklärungen sind einfach.
Ich erkläre noch einmal, dass ich ein paar Fragen der Deutschen loswerden muss, auch wenn sie aus Sicht der Trump-Wähler komisch klingen. Zum Beispiel, ob sie nicht alle Opfer der Trump-Propaganda seien und ihr verfallen seien. Sie lachen. Dann antworten sie: „Na ja. Das sagt doch jeder über den anderen. Die Politik der anderen ist so blöd, die kann doch keiner ernsthaft wählen. Das muss Propaganda sein. Und wir sind die Guten und die Bösen. Oder?“
Tatsächlich scheint hier jeder ein festes Weltbild zu haben, in dem am Ende Trump der richtige Kandidat ist. Es sieht nicht so aus, als würde Trump das den Leuten einreden. Hier wird keine Überzeugungsarbeit geleistet. Alle sind bereits einer Meinung. Man bestätigt sich selbst, mal mehr, mal weniger politisch korrekt.
Ein Comedian der dem Publikum gefällt
Der Comedian Tony Hinchcliffe tritt auf, kurz, aber hart. Das Publikum krümmt sich vor Lachen. Springt auf, klatscht, ruft ihm zu. Einer seiner Witze: „Die Latinos werden auch immer mehr. Ein Kind nach dem anderen. Die verhüten halt nicht. Die holen ihr Ding nicht rechtzeitig raus. Die kommen einfach rein. So, wie sie es mit unserem Land gemacht haben.“ („They come inside, as they did with our country“.) Einer der Witze, die dem Klischee der rassistischen Trump-Fans entspricht. Und der kommt selbst im eher prüden Amerika gut an. „Er ist ein Comedian, er darf das“, sagt mein Sitznachbar.
Ein weiterer Redner meldet sich zu Wort und erklärt: „Wenn Trump im Amt ist, wird er Kamala erst mal eins sagen…“ Weiter kommt er nicht. Der Saal weiß, was zu sagen ist und brüllt im Chor „Du bist gefeuert“. Man merkt: Genau diese Sprüche kommen immer wieder. Jeder kennt die Antwort. Alle schreien zusammen. Alle freuen sich.
Hulk Hogan kommt
Dann der Auftritt von Hulk Hogan. Basslastige Musik. Mit einer riesigen Flagge. Mit Plastikblumen um den Hals. Aus deutscher Sicht genau das, was man von den USA erwartet: vollkommen übertrieben, schrill und bunt. Es ist mit nichts zu vergleichen, was ich aus Deutschland kenne.
Man stelle sich vor, ein muskulöser Zwei-Meter-Mann im Unterhemd und mit bunter Sonnenbrille stürmt mit einer überdimensionalen Deutschlandfahne auf die Bühne und brüllt. „MERZ! MERZ! MERZ!“ Und die Jugendlichen springen von ihren Plätzen auf, schreien sich die Seele aus dem Leib und machen Selfies von der Situation. Aber hier ist das normal.
Aber nach ein paar Stunden unter diesen Menschen ist mir klar: Es funktioniert. Zehntausende sind ausgelassen, fühlen sich bestätigt, auf der richtigen Seite zu stehen, Gewinner zu sein. Wenn man in Deutschland einen Wahlkampf so führen würde, hätte man vielversprechende Chancen zu gewinnen. Ich teile diesen Gedanken auf Twitter und bekomme prompt die Antwort, dass die CDU doch schon Nazi-Sprache benutzt. Und genau da sehe ich wieder, warum ich mir diese Veranstaltungen anschaue.
Wer glaubt, dass Trump beliebt ist, weil er „Nazi-Sprache“ benutzt, hat offensichtlich nichts vom Wahlkampf verstanden. Er hat auch nie versucht, seine Fans zu verstehen. Die möchten ihn aus den oben genannten Gründen. Seine verbalen Ausfälle interessieren sie kaum. Und diese Leute sind etwa die Hälfte der US-Wähler und ein bedeutender Teil der Gesellschaft. Deshalb möchte ich einen Einblick in ihre Gedankenwelt bekommen.
Dann kommt die Ansage. „Jetzt kommt auf die Bühne … Donald … Trump …“, die Leute springen auf. Drehen durch. „.. Junior“ – fährt der Moderator fort. Der Stimmung tut das keinen Abbruch. Es folgen weitere Familienmitglieder und der Unternehmer Elon Musk. Auch er wird gefeiert wie ein Superstar. Gegen 19 Uhr, zwei Stunden später als angekündigt, tritt Donald Trump auf – angekündigt von seiner Frau Melania: „And … now, my husband …“ („Und nun: Mein Ehemann!“)
Neun Stunden warten
Die ersten warten seit neun Stunden. Die, die später gekommen sind, seit über sechs Stunden. Man merkt, dass sie jetzt müde werden. Aber das ist der letzte Auftritt.
Der Applaus und die Sprechchöre reißen nicht ab. Alle stehen, filmen, rufen, machen Selfies. Ein Personenkult, wie ihn kein deutscher Politiker betreiben könnte. „Auf Gott und Trump“, sagen einige neben mir und prosten sich zu. „Ein historischer Moment. Wir holen uns Amerika zurück!“ sagt ein anderer. Trump winkt in die Menge, umarmt und küsst seine Frau. Das perfekte Bild für die Menge.
Dann spricht er über sein gefährliches Leben als Präsident, wie er Amerika zurückholen und die Kriminellen loswerden will. Wie er Kamala Harris „feuern“ wird und wie danach alles besser wird. Die Fans sehen das genauso. Sie jubeln, brüllen und hören zu.
Am Ende ein nicht enden wollender Applaus. Dann verlassen alle nach und nach die Halle. Die Straßen von Manhattan sind an diesem Abend voller „MAGA“-Mützen, Trump-Shirts und Fahnen.
„Siehst du? Und deshalb werden wir gewinnen!“ sagt ein Mann noch zu mir, als er geht. Was er damit genau meint, bleibt unklar. Ein aus deutscher Sicht sehr interessanter und verwirrender Tag geht zu Ende, auch für mich.